Rezensionen
Von Lisa Brüggemann
Was man nicht weiß, versteht man auch nicht. Das gilt auch für das heiße Thema, wie Macht in der Politik mit Eigenschaften einer Persönlichkeit verbunden ist. Der Roman versucht eine Antwort, die in Teilen tief in die Psyche reicht und am Beispiel der erfundenen Figur M als Abgeordneter des Deutschen Bundestags Einflusslinien der Astrologie bis ins Tagesgeschäft der Politik verfolgt.
Den Zeitrahmen setzen die Monate März bis Mai 2015. Einige der damals erregenden Themen wie Terrorismus, Flüchtlinge und Rechtsextremismus werden nicht nur aus der Perspektive des Protagonisten M gespiegelt, der mit seinen Wahrnehmungen und Aktionen schließlich als Politiker scheitert. Sie werden auch mit Informations- und Diskursblöcken bereichert, die dem Lesen Einiges an Konzentration abverlangen, weil sie anregen sollen, Vernunft im Politischen zu finden.
So entsteht gleichsam eine Gegenwelt zum Politiker M, das Nachdenken über Macht als Voraussetzung, ihr nicht zu unterliegen. Politische Prozesse werden mit teilweise akribischen Recherchen nachgezeichnet- Aber es werden in starken Bildern auch Landschaften des emotionalen Lebens von M ausgemalt, zum Beispiel auf der Reise durch Griechenland oder seine Gemütsverfassung nach einer missratenen Versammlung in seinem Wahlkreis.
Die Verstrickungen in der Lebensgeschichte von M erzeugen ein Auf und Ab der Spannungen und kumulieren in der Mitte und am Ende in Szenen, die jenseits zu erwartender Darstellungen. In der Mitte des Buches begleiten wir M auf die NS-Ordensburg Vogelsang, auf der M nach den Wurzeln seiner Herkunft sucht. Am Ende des Roman führt seine Wahrsagerin ihn in eine mit Drogen unterstützte Session, in die Loslösung von seiner persönlichen Sonnenfinsternis, aus der M frei von politischen Ambitionen seine Straße zieht, auf einen Weg, von dem wir nicht wissen, wohin er führt.
Der Roman ist locker und abwechslungsreich geschrieben, wenngleich nicht immer leicht zu lesen. Am Ende verstehen wir das Politische besser als vorher, weil wir mehr wissen und lernen, worauf wir achten können.
Von Nikolaus Pätzold
Zunächst: Die Namensgleichheit von Autor und Rezensent ist kein Zufall. Ich bin der Neffe des Autors. Ich habe das Privileg gehabt, dem hier rezensierten Roman in seiner Entstehung zusehen zu dürfen. Ich bin außerdem Studienrat, mithin professionell vorgeschädigt. Außerdem neige ich politisch zu konservativen Sichtweisen. Alle drei Aspekte prägen meinen Blick auf den Roman und mögen im Folgenden mitbedacht werden.
Warum sollte ich diesen Roman lesen wollen?
Wegen seiner Hauptfigur! Wegen des Settings! Wegen des Schlusses! Wer in dieser Rezension sofort dorthin will, muss bis an den Schluss meiner Rezension vorspulen. Wer allerdings bereit ist, mir geduldig zu folgen, dem werde ich zunächst mit etwas Anlauf erklären, warum ich von „Sonnenfinsternis“ so angetan bin.
Höre ich unsere Oberstufenschüler, wie sie sich über ihre Lieblingsserien austauschen, dann sind „Spoiler-Alerts“ an der Tagesordnung, und wer da nicht blitzschnell mitdenkt, wird abgewatscht. Das ist meine Präambel für diese Rezension: Ich werde mit keiner Silbe sagen, wo die Reise im Roman hingeht. Das möge ein jeder für sich selbst herausfinden. Meiner Meinung nach ist der Roman sowieso so angelegt, dass es für jeden Leser ein anderes Reiseziel geben kann. Warum ich das so sehe, werde ich weiter unten erklären.
Worum geht es?
Der Leser folgt der Hauptfigur „M“. M ist direkt gewähltes Mitglied des Bundestages. Obwohl Parteinamen vermieden werden, ist er leicht der CDU zuzuordnen. Der Protagonist ist wahrlich kein Sympathieträger, was jedoch deutlich nicht seinem Parteibuch zuzuschreiben ist. Er rempelt und schlängelt sich durch das Jahr 2015 und seinen politischen Alltag, der mehr und mehr durch die sich abzeichnende Flüchtlingskatastrophe beherrscht wird. Er begegnet im Jacob-Kaiser-Haus seiner Sekretärin und seiner wissenschaftlichen Mitarbeiterin, im Bundestag Fraktionskollegen und dem Bundestagspräsidenten, auf Auslandsreise parlamentarischen Gesprächspartnern und Dolmetschern, er begegnet erwartbar vielen Menschen in den verschiedensten Positionen.
Und er begegnet seiner Wahrsagerin. M ist in dieser Hinsicht kompromisslos irrational, für den Leser zwar zugleich lesbar wie ein Buch, aber auch unheimlich undurchschaubar: So wollen wir unsere Abgeordneten nicht! M ist eine Figur, die nach den Sternen greift – für ihn ist das das Spiel der Macht – die aber zugleich einen sehr bedauerlichen Mangel an Einfühlungsvermögen aufweist.
Ms Geburtsfehler sind Teil des Szenarios. In Episoden wird eine Biographie erzählt, die zunächst ohne Eltern auskommen muss, aber völlig nachvollziehbar in die Sphären lokaler Politik führt. Der aufgenommene Schwung hält nicht bei erkämpften Erfolgen, momentanen Mehrheiten oder dem triumphalen Überschwang des Augenblicks inne. Der Roman führt direkten Weges zurück zur Persönlichkeit des MdB M. Meiner Meinung nach liegt hier eine besondere Stärke.
Der Leser muss zum gegenwärtigen Zeitpunkt (Jan..2021) eine Kröte schlucken: Das Manuskript ist noch nicht geglättet – es begegnet dem Leser so, wie der Autor es vor einer Nachkorrektur erstellt hat. Gewisse Tippfehler kann man dabei überlesen. Gelegentliche Schwankungen im Tempus erfordern dabei den wachen Leser: Erzählt wird prinzipiell im Präsens – das gelegentliche Hin und Her wirkt wie ein Oszillieren zwischen der konventionellen Erzählzeit Präteritum und dem unmittelbaren, im Roman vorherrschenden Präsens. Nicht immer leicht zu nehmen. Professionelle Vorschädigung meinerseits.
Warum sollte ich das lesen wollen?
Was kann ich über meine Lektüre des Romans weitersagen? Und, mehr noch, was kann ich an abwägende, schwankende, vielleicht zweifelnde angehende Leser weitersagen? Einfach: Dass ich gekämpft habe und belohnt worden bin. Wegen der Hauptfigur. Wegen des Settings. Wegen des Schlusses. Es lohnt sich.
M ist, wie oben bereits gesagt, kein Sympathieträger. Er ist allerdings auch kein Schurke! Der Autor gibt sich keine Mühe, ihn dem Leser ins Herz zu schummeln. Stattdessen wird M als eine Figur aufgebaut, die, mit mittelprächtigen Mitteln ausgestattet, sich weit hinauswagt.
Mein Leseerlebnis hat sich zu jeder Zeit daran messen müssen, dass ich, so lang ich zurückschauen kann, viel häufiger mit klar „guten“ Protagonisten zu tun hatte. Im Falle von Antihelden (etwa als Kind bei Long John Silver in der „Schatzinsel“ oder als Lehrer in „The Great Gatsby“ – Zentralabitur 2016) musste ich jeweils eine Anpassung vornehmen, konnte ich mich nie „einfach so“ mit dem Protagonisten identifizieren. Stattdessen musste ich mich mit meinen Lesegewohnheiten auseinandersetzen. Und das ist für mich eine weitere zentrale Stärke des Romans „Sonnenfinsternis“ – ich werde zwar auf extrem informierte Weise in das Jahr 2015 mitgenommen und erhalte so Gelegenheit, mich mit der Nachrichtenlage der Zeit noch einmal auseinanderzusetzen. Aber M bringt mich zugleich an viel persönlichere Orte und fragt mich, mit wem ich mich identifizieren möchte. Um hier alle Missverständnisse auszuschließen: Ich mag M nicht. Ich identifiziere mich dennoch mit ihm. Viel Spaß dabei, diesen Konflikt auszuhalten.
Das Setting sei hier außerdem erwähnt, da es mir Eindruck gemacht hat. Im weitesten Sinne ist das Setting die Gegenwahrt des Jahres 2015. Für mich ist der Bundestag jenseits von Führungen ein ebenso exotischer Ort wie der südliche Peloponnes, ein Ziel der Griechenlandreise Ms. Die Behandlung des Settings überzeugt jedoch nicht nur wegen seiner Wiedererkennbarkeit, sofern der Leser 2015 gelegentlich Fernsehnachrichten gesehen hat. Es überzeugt vor allem deswegen, weil es den Leser – ganz buchstäblich – auf eine Reise mitnimmt. Zuerst das vergleichsweise kleine parlamentarische Biotop. Dann die Reise nach Griechenland. Das Setting wird dermaßen klar präsentiert, dass man es lebendig vor Augen hat. Das Gleiche gilt für historische Parlamentssitzungen: In die im Roman beschriebene Zeit fällt der erweiterte Suizid des German-Wings-Kopiloten bei Flug 9525 in den französischen Alpen. Für mich eine in mehrfacher Hinsicht beeindruckende Schilderung der Situation im Bundestag, insofern sie nicht nur eine kollektive Reaktion im Bundestag darstellt, sondern auch den Protagonisten M auf sie reagieren lässt und ihn so ausschärft. Zugleich muss ich mich hier selbst fragen, wie weit ich den geschilderten Eindrücken Ms trauen darf, und was das über ihn sagt. Oder über mich.
Das ist für mich eine weitere zentrale Situation im Roman; M ist trotz seiner Empathielosigkeit kein Monster. Was und wie er nachvollziehbar fühlt, ist mir, dem Leser, viel näher, als ich in schwachen Momenten bereit bin zuzugeben.
Abschließend noch einmal die vielleicht entscheidende Frage: Warum sollte ich „Im Hinterhof der Politik“ lesen wollen? Wegen des Schlusses. Nein, wir folgen hier keinem Thriller und keinem Kolportageroman. Der Schluss ist ganz einfach – konsequent.
Wann durfte zuletzt ein gescheiterter Antiheld in seine ganz persönlichen Sonnenfinsternis reiten?
Von Siegfried Weischenberg
Nun hat es doch etwas länger gedauert, bis ich mich mit einem etwas längerem Feedback zum Roman melde. Daran ist nicht nur die Fußball-EM schuld, sondern, und vor allem, die Verpflichtung, sich zu einem solch gigantischen Werk erst dann zu äußern, wenn man wirklich alles gelesen hat. Ich muss vorausschicken, dass ich in den letzten Monaten (auch als Nebenwirkung von Covid 19) wieder viel Belletristik gelesen habe: Stefan Zweig, den ich immer noch grandios finde, Josef Roth und vor allem diverse Russen, um die ich wegen der vielen komplizierten Namen lange einen Bogen gemacht hatte (Dostojewski, Turgenjew und vor allem „Der Meister und Magerita“ von Bulgakow, ein geradezu unglaubliches Werk). Die Latte lag also sehr hoch, als ich mich an das Opus machte (zuvor hatte ich entlang der Studie von Christopher Clark meine Kenntnisse zum Ersten Weltkrieg vertieft; deshalb war mir z. B. der Name Princip vertraut, wie so manches, was mir dann bei der Lektüre des Textes begegnete. ‚Vertraut‘ bewegt sich dabei bei Weitem nicht auf dem Niveau vieler ungeheuer imponierender Kenntnisse in all den vielen Themenfeldern, die da ausgebreitet werden.
Damit bin ich schon mitten in der 'ultimativen Lobhudelei‘ und stehe dabei immer noch stark unter dem Eindruck der vielen Informationen, Analysen, Querbezüge und Anregungen, die den Autor eines Bildungsromans ausweisen, wie er mir seit der Lektüre von Thomas Manns ‚Doktor Faustus‘ nicht mehr in die Finger gekommen ist. Was dort (unter Inkaufnahme der partiellen Überforderung der Leserinnen und Leser insbesondere im Zusammenhang mit Beethovens 32. Klaviersonate) ausgebreitet wird, Ulrich Pätzold gleich auf ein ganzes Arsenal von Themen angewendet. Natürlich können damit auch Kohärenz-Probleme verbunden sein. Dazu später ein paar (unvollständige) Bemerkungen und Anregungen.
Besonders gelungen fand ich auf Anhieb das zweite Kapitel (Flugzeugabsturz). Hier und an vielen anderen Stellen hat mich nicht nur das ungeheure Faktenwissen zu allen möglichen Themen beeindruckt, sondern auch die Fähigkeit, Kompliziertes in eine verständliche, aber anspruchsvolle und jargonfreie Sprache zu übertragen. Gerade auch das Athen-Kapitel finde ich brillant. Besonders imponierend ist für mich aber auch, was für ein profundes Wissen sich der Autor zum Thema Astrologie angeeignet hat.
Dass sich gewichtiges Geschehen in Deinem Buch ausgerechnet an meinem Geburtstag abgespielt hat (24.3.) und dass vor Beziehungen mit Widdern (und Stieren) gewarnt wird, hat mir natürlich besonders gefallen. Schön auch, dass mir Malmedy mal wieder begegnete, wo ich vor vielen Jahren diverse Nachmittage in einem Café verbracht habe, nachdem ich zuvor in Monschau sozialwissenschaftliche Interviews zur Verwaltungsreform geführt hatte. Colonia Dignidad erinnerte an unsere äußerst instruktive Chile-Reise 2012, die uns bis nach Patagonien und der südlichsten Stadt der Welt geführt hatte. Und ja: Max Webers Entzauberungstheorem kommt auch vor. Schließlich: Ich hatte vor Jahren mal das Angebot, als Assistent eines Bundestagsabgeordneten zu arbeiten, der später Staatssekretär im Verteidigungsministerium geworden ist (das wäre was für mich gewesen…) Aber deshalb weiß ich einzuschätzen, wie genau die Arbeit im Abgeordnetenbüro recherchiert und in Beschreibungen der Abläufe umgesetzt ist.
Schließlich: Der Text läuft geradezu über an originellen Einfällen, intelligenten Bezügen und klugen Bewertungen – wirklich nach Weber ‚mit Leidenschaft und Augenmaß‘. Dies gilt m. E. insbesondere für das Thema ‚Flüchtlinge/Islamismus‘, wobei offenbar Erfahrungen des Autors im Irak das Fundament bilden. Insbesondere bewundere ich die mikroskopische Beschreibung des Systems Politik und ihrer Kommunikation (… Nobert Lammert, der übrigens zur selben Zeit wie ich in Bochum Sozialwissenschaften studiert hat) …
Von Berit Schwarz
Ein Abgeordneter im Bundestag - besitzt er Macht? Die Antwort lautet: nur sehr bedingt. Die Macht ist in der Politik auf so viele Schultern verteilt, dass jedes Wirken einer genauen Vorbereitung bedarf, Argumentation, mühsames Ringen um Entscheidungen, Verordnungen und Gesetze. Um wieviel größer ist die Macht, die der von den Medien so genannte "Todespilot" Andreas Lubitz in sich vereint, als er seinen Airbus mit 149 weiteren Menschen an Bord mit Absicht zum Absturz bringt und gegen einen Berg fliegt? Unendlich! "Er hat den Gipfel der Macht erreicht!" schreibt der Autor. Ist das womöglich die Dimension der Macht, nach der die Hauptfigur M ebenfalls trachtet? Als einer der wenigen Figuren im Buch trägt Andreas Lubitz einen Namen. Er "schafft" es, der Anonymität der Welt für diesen einen fürchterlichen Moment zu entfliehen. Alle anderen Protagonisten der Geschichte bleiben namenslos, inklusive des Erzählers M: einem Bundestagsabgeordneten auf der verzweifelten Suche nach Anerkennung und Macht.
Von Winfried Brumma
Einen Erzählband und ein Sachbuch veröffentlichte der Autor Ulrich Pätzold bisher: "Berlin: Geschichte in Geschichten" (2014) sowie ein Jahr zuvor "68: Notizen im Alter“ (2012). Der nun vorliegende Roman "Sonnenfinsternis: Im Hinterhof der Politik" entstand ab Anfang 2020 zurzeit der Coronakrise. Die Geschichte beginnt am 20. Mai 2015: an diesem Tag gab es eine Sonnenfinsternis. Erzählt wird über das Leben eines fiktiven, nach Macht strebenden Bundestagsabgeordneten im politisch rationalen Umfeld des Parlaments. Was in den folgenden drei Monaten mit "M", dem Protagonisten, geschieht, ist spannend und voller Informationen, die das Nachdenken fördern können, wie der Autor uns mitteilte. Welche literarische Qualität Ulrich Pätzolds Roman aufweist, zeigen wir in unserer Rezension auf.
Der Aufstieg und die Verirrungen eines Abgeordneten
"M" ist einer, der noch keinen großen Auftritt auf der politischen Bühne hatte, sondern im Gegenteil eher etwas vage wirkt. Ellbogenmentalität ist ihm fremd, doch weiß er Gelegenheiten dann zu nutzen, wenn sie ihn am Ärmel zupfen. Seine beiden Mitarbeiterinnen respektiert er. Auch wenn er sie "Schatz" und "Madame" nennt. Wahrscheinlich der Einfachheit halber.
Solche wie "M" gibt es zu Hunderten in der Politik, wenig bis gar nicht hervorstechend, aber verlässlich und fleißig. Und wohlgelitten, denn die "M's" dieser Welt fallen nicht negativ auf. Dafür allerdings hin und wieder positiv, quasi als angenehme Konstante.
Doch "M" hat auch eine Schwachstelle, oder besser gesagt: einen instabilen Punkt. Er hat sich von einer Wahrsagerin, einem Medium, abhängig gemacht und überlässt sich in vollstem Vertrauen ihrer Art der Manipulation. Die undurchsichtige Frau ist uneinschätzbar, auch für den Leser. Doch sie wird zur Gefahr für den Mann.
Seine Stunde schlägt auch bald, denn es geht um eine Sonnenfinsternis, mit der "M" alles weitere verknüpft. Eine Aufgabe wird ihm übertragen. Sein Weg führt ihn in die Fremde nach Griechenland. Und ohne dass er es bemerkt, verlässt er den Weg des Beweisbaren.
Eine Fahrt des logischen Grauens
Was mit "M" geschieht, wird vom Autor mit allergenauester Eindringlichkeit, aber leidenschaftslos geschildert. Der einerseits aberwitzige, andererseits aber unspektakuläre Sturz wirkt dadurch umso intensiver. Wenn es denn ein Absturz ist, denn für "M" ist alles völlig anders geworden.
Unsere Empfehlung: Die beachtenswerte Geschichte von Ulrich Pätzold ist eine Fahrt des logischen Grauens. Durchaus denkbar und dadurch umso beklemmender. Und gewiss kein Buch, das man nur einmal liest.
© Im Hinterhof der Politik": Eine Rezension von Winfried Brumma (www.pressenet.info 05/2021). Dem Autor Ulrich Pätzold danken wir für das Rezensionsexemplar (als E-Book) und die Abbildung des Buchcovers.
Von Ela Fortis
Licht und Dunkel liegen niemals bedeutungsvoller beieinander als im Moment einer Sonnenfinsternis. So erkennt der Leser sehr schnell die Schattenseiten eines politischen und vor allem öffentlichen Lebens. Wie sehr Menschen ihre eigene Identität aufzugeben bereit sind, alle Werte und Empfindungen betäuben um letztlich das Streben nach Macht und Einfluss als Antriebsfeder ihres Lebens in dramatischer Weise Vorrang zu geben, verdeutlicht Sonnenfinsternis auf spannende authentische Weise - und für jedermann nachempfindbar. Lesens- und bedenkenswert!
M hat sich offensichtlich nie richtig um seine Identität gekümmert, stattdessen allein
nach Macht gestrebt. Macht als Antriebsfeder des Lebens. Was am Anfang den Roman auslöst, ist am Ende „Betäubung“. Offen bleibt die Welt von M danach.
Von Anita Lang
Aufgeschreckt durch einen toten Vogel vor seiner Tür, kommt M ins Trudeln. Ein Macho, der die Sekretärin mit Schatz anredet, wofür schon Spitzenpolitiker aufgeklopft wurden. Heimlich schleicht er in den esoterischen Bereich und belustigt den Leser durch seine Angst vor schlechter Publicity.
Leichtfüssig karikiert Ulrich Pätzold seine Figur. Wir sehen den Bundestag von innen, mitsamt der Fadesse des Berufsalltags. M unterschreibt mit Würde und baut seine Überzeugungen aus. Nichtigkeiten werden aufgebauscht. Abenteuerliche Kombinationen des M führen zu noch mehr Gedankenakrobatik. Dann platzt jäh eine Unglücksmeldung in den Sitzungsalltag. „Sonnenfinsternis“ verspricht spannende Lektüre, die zum Nachdenken anregt.
Von Ulrich Pätzold
Viele Psychopathen erstreben zum Überleben Macht. Manche von ihnen drängt es in die Politik. So verschieden sich Psychopathien bei den Menschen auswirken, so eindeutig sind die Symptome: Menschen kreisen um sich selbst, unfähig, sich in das Leben anderer Menschen hineinzuversetzen.
Ein Politiker mit psychopathischen Eigenschaften ist der fiktive Bundestagsabgeordnete M. Selbstbehauptung und Machtkarriere stehen im Mittelpunkt seines Denkens, Fühlens und Handelns. Streckenweise erleben wir ihn als einen durchaus sympathischen Politiker, der scheinbar gewissenhaft seiner Arbeit nachgeht. Aber an entscheidenden Knackpunkten der parlamentarischen Arbeit kippen die Leitlinien der demokratischen Vernunft. M sieht sich als Retter des Allgemeinwohls, würde man ihm folgen, der seine Imperative in der Deutung der Sterne durch Wahrsagerei sucht.
Im Roman wird der „Hinterhof der Politik“ ausgeleuchtet. Der Scheinwerfer richtet sich nicht nur auf M, dessen politische Karriere schließlich grandios scheitert. Ihm stehen andere Politiker aus seinem Umfeld gegenüber, die gleichsam die Vernunft des Politischen verkörpern. Auf diese Weise entfaltet der Roman weite Spannungsbögen der Dramaturgie, mit der die Verwicklungen von Rationalität und Irrationalität am Ende auf die Spitze getrieben werden: Der Politiker M ist erledigt, der Mensch M zieht weiter auf der Straße.
Noch eine Botschaft enthält der Roman: Um zu verstehen, wie Menschen unversöhnlich auf Entscheidungen und Handlungen drängen, muss man ihre Lebensgeschichte zu verstehen versuchen. In ihr sind die Kerne zu finden, die wie im Fall von M zur Abschottung in eine einzig für wahrhaftig gehaltene Persönlichkeit führen. Wie aus solchen Lebensgeschichten Ermattung und Resignation auf der einen Seite resultieren, auf der anderen Seite Radikalisierung, Extremismus und Terrorismus, zeigen die beiden Biografien von nach Deutschland Geflüchteten.
Über weite Strecken ist der Roman wie ein Sachbuch über Parlamentarismus und Demokratie, aber auch über das Raunen in der Astrologie geschrieben. Dennoch ist es ein Roman über eine Person, die man nicht vollständig verstehen und begreifen kann. Solche Personen gibt es weltweit auch in der Politik, wie die Erfahrung alltäglich lehrt.